Wie manifestiert sich eine künstlerische Antiästhetik im Sinne einer kritischen Distanz zum Kunstbetrieb, die nicht auf Verweigerung und Verzicht in der Tradition eines (post-) punk fußt? Wenn punk innerhalb der Kunst als eine Haltung
verstanden wird, die das Gutgemachte, das Schöne, das Zielführende ablehnt, bleibt ihr als Ausdrucksmittel die Geste der
Rebellion, des wütenden Ausdrucks, der Ablehnung aller offenen und verdeckten verwertungslogischen Forderungen an
das Werk. Doch kann eine Antiästhetik auch subtile Formen des kunstkritischen Ausdrucks einschließen? Folgt man diesem
Gedankengang, wird klar, wieso ausgerechnet Verweise 36 auf Mode und Popkultur einen raffinierten Weg eröffnen, Werke
zu schaffen, die in ihrer Form ansprechend und durchaus widerständig sind. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel
die Werke Stefan Cantantes, erkennt man, dass er mit textilen und popkulturellen Verweisen eine kunstgläubige Schöpfungspraxis
untergräbt – zu Gunsten einer humorvollen, affektbasierten künstlerischen Sprache. Genauer sind es die
Stichworte kink, cuteness, meme culture, fashion – eng mit der Bildkultur einer Post-Internet Generation verbunden – die
Hinweise auf Stefans ganz eigenen Umgang mit Symbolsprache und Objekten liefern.
Obwohl Stefan sein Werk nicht innerhalb der Gattung Malerei sieht, nähert er sich mit Drucktechniken, Assemblagen und
Stoffmalereien dem Genre an. Seine neueste Bildserie besteht aus gefundenen Abbildungen, die mit Transferdruck auf eine
Leinwand übertragen worden sind. Der Bildtitel Shocked dog reacting to metronome (2021), beschreibt trocken-humorvoll
die Motive des malerischen Werks: Ein süßer Welpenblick wird durchbrochen von einem Metronom im Bildvordergrund. Die
Szenerie des Bildes könnte auch einem Hundevideo entnommen sein, das viral gegangen ist. Ein anderes Bildobjekt derselben
Serie bildet Pippi Langstrumpf auf dem Pferd Kleiner Onkel reitend ab. Stefans mediale Verweise innerhalb seines
Werks berufen sich auf die Inhalte, die ihn umgeben, die ihm gefallen und die seine Bildbetrachtung prägen. Eine ikonografische Kette aus kunstgeschichtlichen Referenzen zum Zweck einer akademischen Malweise interessieren ihn weniger. Seine Werke gehen Wahlverwandtschaften ein, suchen sich ihre eigene Welt an Referenzen innerhalb ihres eigenen Wertesystems, um sich aus den Kategorien der Kunstgeschichte zu befreien. In diesem Sinne zitiere ich Stefans Werk Emergency Exit Improvisation II von 2018: „Break the chain of the
fuckups, of the fathers“. In der Serie doorstop, die von 2014 bis 2016 immer wieder Einzug in die Ausstellungspraxis Stefans hielt, werden seine autarken künstlerische Objekte räumlich erfahrbar. Die Türstopper werden Teil der Raumarchitektur, erfüllen ihren funktionalen Zweck und halten die Tür in vielfältig ausgestalteten Erscheinungen für den Ausstellungsbesuch auf. Stefan
scheint die Arten und Weisen, den künstlerischen Türstopper zu kreieren und zu präsentieren, regelrecht durchzuspielen –
doorstop 9 (I wish I never see it perform) von 2016, imitiert den benachbarten Feuerlöscher. Doorstop improvisation 2
(2015), erfüllt mit einer reduzierten Materialaufstellung seine Funktion, es genügen zwei Holzlatten und ein mit Ton ausgefüllter
Gummihandschuh für den Balanceakt mit Tür. Doch scheint es bei den Türstoppern um mehr als einen Eingriff in
die biedere Innenarchitektur zu gehen. Der an die Wand übertragene Satz „If what I have is what you need“ komplettiert die
Installation doorstop 9 (I wish I never see it perform). Und es steht die Frage im Raum, wer an dieser Stelle zu wem spricht?
Künstlerische Werke werden zum Türstopper funktionalisiert, treten aus ihrer Objektrolle heraus, spielen in ihrer Kreatürlichkeit
direkt mit den Erwartungen und Emotionen der betrachtenden Person oder setzen sich in Beziehung zu anderen Objekten
oder Bildmotiven. Sie scheinen autark, eigenständig in dieser Setzung, da ihre Handlungsmacht erweitert wird – die
doorstops können vieles sein, passiv bleiben sie indes nicht.
„David, the cop“ titelt Stefans Einzelausstellung, die in dem Antwerpener Café Strange stattfand. Neben einer Serie von
Werken ergänzte ein performative reading des Künstlers die Ausstellung. Zwei Drag Queens aus Antwerpen
und Gent waren eingeladen um mit Stefan zu performen. Mit der Frage, wie Subkultur und Kunstbetrieb sich beeinflussen können,
beschäftigt er sich in diesem Zusammenhang nicht ohne Kritik. Denn einen safe space wie das Café Strange, einen Rückzugsort für diejenigen, die ihn sich nehmen und erhalten möchten, will er sich nicht zum Zweck der Kapitalschöpfung und Selbstvermarktung aneignen. Ein Konflikt, so scheint es, den alle Künstler:innen mit einer Identität jenseits der heteronormativen weißen Mehrheitsgesellschaft mit sich herumtragen müssen – ungeachtet dessen, ob er nun thematisch innerhalb der einzelnen Werke verhandelt wird oder nicht. Wie steht es also um die Möglichkeiten und Grenzen einer kritischen Distanz zum Kunstbetrieb? Formen der ästhetischen Widerständigkeit, ob nun rebellisch oder humorvoll ausgestaltet, unterliegen einem strukturbedingten Regelwerk. Eine radikale Widerständigkeit durch die Rolle als Außenseiter:in ist nur denen gegeben, die einen entsprechenden Preis struktureller Benachteiligung dafür zahlen. Dieser Umstände scheint sich Stefan Cantante bewusst zu sein,
denn auf eine performative Rebellion im Rahmen seiner Kunst verzichtet er.
Text: Yana Tsegay
Der Katalog zu der Ausstellung kann via KVTV shop erworben werden.