Meine erste Begegnung mit Catherina Cramer fand 2017 in Düsseldorf statt. Damals arbeitete Cramer zusammen mit
Nicholas Grafia an der Ausstellung „Sociobath“ im Goldenen, einem ehemaligen Projektraum der Kunstakademie Düsseldorf.
Zu diesem Anlass hatten die beiden Künstler:innen meine Band Die Römischen Votzen eingeladen, bei der Eröffnung ein Konzert zu spielen. Diese nahm ich natürlich gerne an und hatte so die Gelegenheit die Ausstellung vor Ort zu sehen.
„Sociobath“ beinhaltete eine Installation, Malereien und eine gleichnamige Performance, die sich der Ausstellung als Bühnenbild
bediente. Nachdem der übliche Vernissage-Trubel durch den Wechsel der white cube-Beleuchtung in lilafarbenes
LED-Licht zur Ruhe kam, begannen die noch vorher als Künstler:innen und Gastgeber:innen agierenden ihre Performance.
Sie handelte von einer utopischen Zukunftsvision, in der die Menschen nicht mehr in Wohnungen, sondern in
Bädern hausen. Es folgten philosophische Dialoge und badeähnliche Prozeduren, die in dem futuristisch anmutenden
Thermalbad von den beiden Künstler:innen geführt wurden. An einem Punkt der Performance bäumte sich Catherina,
selbstbewusst, einer überzeugten Wissenschaftlerin gleich, vor dem Publikum auf und verkündete, als ob es die wichtigste
Fragestellung des Badeuniversums wäre: „Der moderne Badegast von heute will nicht mehr duschen, sondern möchte
gerne wissen: was ist die Dusche? Was ist unter der Dusche?“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und krabbelte
geschäftig in Form von einem kräftigen und panzerartigen Insekt, durch das Lösen des Abflussgitters ans Licht. Es wurde
behutsam von Catherina in ihre Hände genommen und dem Publikum stolz präsentiert: „Das meine lieben Badegäste ist
die Madagaskar Fauchschabe! Schauen Sie!“ Nachdem das Publikum fasziniert und abgeneigt zugleich das Insekt der
Reihe nach begutachten durfte, konnte es in dem weiteren Teil der Performance einer Operation beiwohnen, in welcher
der Schabe ein Chip transplantiert wurde.
Bei der Rezeption von Catherinas Arbeiten bin ich stets erstaunt, sei es die beschriebene Performance „Sociobath“
oder bei ihren videografischen Arbeiten, wie sehr sie meine Aufmerksamkeit von Anfang bis zum Ende einnehmen.
Der humorvolle und unterhaltsamen Charakter ihrer Performances, die detailreichen Bühnenbilder, welche durch qualitativ
hochwertige Kameraaufnahmen festgehalten werden, das Erschaffen von Räumen, die es so nur in der Fiktion gibt,
das alles trägt dazu bei, mit allen Sinnen bei den Stücken dabei sein zu wollen. Dieser Effekt wird zusätzlich dadurch
verstärkt, dass die im Ausstellungskontext präsentierten Videos sich nicht mit einer kühlen und distanzierten Projektion
oder einem Museumsfernseher begnügen, sondern die Aktivität und die Ästhetik des Fernsehens in den Vordergrund
gerückt und exponiert, ja fast schon selbst als Kunst betrachtet wird. Das Publikum hat die Möglichkeit Platz in
einem inszenierten Fernsehzimmer zu nehmen und Teil von dem wiederholten Ambiente im gezeigten Video zu werden.
Gleichzeitig bleibt die Entzifferung der Handlung, durch den stetigen Handlungswechsel und die damit
sich verändernden Stimmungen und Leitmotive, aus. Zwar werden Themen wie Zukunftsvisionen, Selbstinszenierung, Geschlechterrollen sowie Biopolitik betreffende Fragen angesprochen, stehen aber nicht einzeln im Vordergrund. Vielmehr wirken die Themen durch die einzelnen Charaktere oder die Stimmungen und die Bühnenbilder, die Catherina erschafft hindurch und erschaffen so einen Raum für mannigfaltige Interpretationen. Es entsteht ein Gefühl des genussvollen Unbehagens, gepaart mit der Befürchtung, dass das Gesehene und Erzählte, obwohl es so surreal, an Untergrund und Paralleluniversen erinnert, trotzdem die Zuschauenden direkt betrifft. In dem Video A Boxed Rebellion, lädt ein klaustrophobisch eingerichteter Container zur Begehung ein,um der Handlung in dem exponierten Video beizuwohnen. In diesem erscheint eine gigantische Containerlagerhalle. Hinter den Metallwänden finden sich aber keine Möbelstücke oder Gegenstände wieder, sondern Menschen, die in kleinen
Wohngruppen Tätigkeiten verrichten, deren Sinn sich nicht eindeutig erschließen lässt. In einem der Räume erinnert eine
Gesellschaft aus drei Personen an ein Treffen zum Spielen unter Freund:innen, nur, dass eine valiumartige Lethargie im
Raum schwebt und in der Mitte des Raumes auf einem Kunstrasen-Podest eine Plazenta liegt. Die erzeugte Stimmung
wirft Fragen nach Einfluss, Wissen und awareness für den eigenen Körper auf, der vermeintlich unser Eigentum ist, bei
dem aber nie klar ist, wieviel Macht wir wirklich über ihn haben, und wie verhindert werden kann, dass dieser nicht ausgebeutet
wird.
Obwohl Catherina gerne mehrere Rollen in der Produktion ihrer Videos annimmt, von der Performance, dem Schreiben
des Drehbuchs, der Konzeption von Kulissen, dem Aufbau des Sets bis hin zum Schnitt und der Postproduktion, schätzt sie
die Zusammenarbeit und den kooperativen Aspekt bei Filmdrehs. „In der Kunstwelt stehen Einzelkünstler alleine da und
sind dem Konkurrenzgedanken – selbst unter befreundeten Künstlern – ständig ausgesetzt. Beim Film kann es durch die
Zusammenarbeit vermieden werden, da einfach nichts allein geht, man muss kooperieren. Ein großer Vorteil daran ist auch,
dass die eigene künstlerische Praxis und Perspektive erweitert wird, was wertvoll und wichtig ist“, so Cramer. Ihre neueste
Arbeit Unleash the Beast ist ebenfalls in Kollaboration mit der Künstlerin Giulietta Ockenfuß entstanden. In dieser steht
die ‚Wasseraffenhypothese‘ von Elaine Morgan im Fokus. Während eines dreimonatigen Aufenthalts in Mexiko wurden
verschiedene Figuren entwickelt, die alle durch das Element Wasser miteinander verbunden sind. Die Künstlerinnen sind
durch das Land gereist und haben Filmmaterial produziert, welches sich mit Wasser als Ressource und der Frage nach
der Herkunft des Menschen auseinandersetzt. Spontane Interviews, dokumentarische Elemente und fiktive Narrative fügen
sich zu einem avancierten Kunstfilm, der nach der Reise in Form von einer mehrteiligen Serie fortlaufend collagiert und
nach und nach veröffentlicht wird.
In der Zukunft dürfen wir uns auf weitere Arbeiten von Catherina freuen, wie zum Beispiel Uncanny Island, ein Film inspiriert von dem gescheiterten Projekt Biosphäre 2, welches über eine lange Arbeitsphase hinweg produziert wird. Außerdem will Cramer sich mehr außerhalb der „Kunstblase“ bewegen und im öffentlichen Raum mit ihren Arbeiten wirken. Sie denke dabei an jemanden wie Christoph Schlingensief und seine Wirkkraft über die Kunstgrenzen hinaus. Vielleicht braucht es einen Schlingensief — einen weiblichen!
Text: Sonja Yakovleva
Der Katalog zu der Ausstellung kann via KVTV shop erworben werden.