Tinder und Schweine, ein Shitstorm.

*Praktische Einführung in das Dating-Drama.

Teil 1*

Die nächste große Welle nach der ersten Corona-Welle war gefühlsmäßig die Dating-App Welle. Hin und hergerissen zwischen Einhaltung der Pandemie-Abstandsregeluarien der letzten Monate und der ewigen Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, habe ich die alte Cloud mit den diversen Dating- Apps reaktiviert um mich ganz dem Schöpfungsursprung der Menschheit, der nach wie vor in der Nahrungskette ganz oben angesiedelt ist, dem Cis-Mann zu widmen. Wobei irgendwelche Wissenschaftler haben feststellen müssen, dass Menschen auf der gleichen Stufe wie die Schweine und Anchovis (WTF???) stehen. Ist es ein Zufall, dass der umgangsgebräuchliche Ausdruck für einige unserer männlich gelesenen Genossen dem schlauen Säugetier gleichgestellt wird? (LACH)

Die ersten Eindrücke beim „swypen“ innerhalb der Großstadt-Blase unterschieden sich kaum von meinen Abermillionen Mitstreiterinnen:

hier ein Ex-Freund, da eine Ex-Affäre, ach der Typ, der mich mal geghostet hat, der Typ ohne Gesicht, der Typ wo ich das Foto gemacht habe, der Typ, der eigentlich eine Freundin hat. Und so weiter und so unendlich lange fort. Da wische ich fleißig nach links und sterbe gleichzeitig vor Langeweile, als mir zum wiederholten Mal dämmert, dass ich hier falsch bin. Ich arbeite mich trotzdem manisch an dem Online-Katalog mit dem fraglichen Algorithmus ab, in der Hoffnung, dass das nächste Match nicht nach der Körbchengröße fragt.

Aber nun zu den praktischen Beispielen…

Da ist der Christian in seinen freshen 39, offensichtlich im Staatsdienst angestellt (der in Hessen und anderen Teilen der Republik nur Ärger macht), der gute Mann gehört zu der sog. Kategorie DILF. Für diejenigen, die diese Fantasie noch nie geteilt haben – DILF ist ein Acronym für „Dad I’d Like to FUCK“, irgendwas zwischen 30 und 50 Jahre alt, irgendwie mega hot und mit Anhang in Form von einem oder mehreren Sprösslingen und/oder einer EX-Frau. Also Chris mag definitiv keine curvy-Frauen und ist von einem weiteren Kinderwunsch sichtlich abgeneigt, Gucci&Pucci kommen ihm auch nicht in die Tüte, die Schminke kann man sich ebenfalls sparen. Warum macht mich das Profil so aggressiv? Naja, weil Christian sich als anspruchsvoller Staatsdiener-Papa von nebenan präsentiert und gleichzeitig ein „Shades of Grey“ - Bild mit Untertitel „Keine Regeln mehr“ postet. Geschmackslos kann er.

Für die Kategorie DILF fehlen mir aber noch die richtigen Worte und die dazugehörigen Repräsentanten IRL. Ich selbst kenne nur eine schwindend marginale Anzahl an solchen Typ Männer. Die meisten „Daddys“ haben weder von einem Zahnbleaching, noch von einem super-duper selbstgebauten Lehmofen-Grill mit Fahrradantrieb-Funktion gehört, noch ähneln sie annähernd einem Ryan Gosling. Die Meisten hängen in irgendeinen langweiligen Büros ab und sind mit einem Frisörbesuch heillos überfordert. Naja vielleicht hat die Kategorie DILF noch am ehesten Potential, immerhin hat es sich einen Platz bei div. Porno-Anbietern ergaunert. Weiter swypen…

Da finden wir den Andre, 34 Jahre jung, sieht leider wie 14 aus. Den könnte ich ausversehen zum Frühstück verspeist haben als ich ihm mit dem Frühstücksei verwechselt habe. Oder kommt man so zu der Strafanzeige „Verführung Minderjähriger“? Onlinedaten ist definitiv ab 18 erlaubt. Gibt es dann so Profile, wo man sich älter reinschmuggelt? Wie ich früher vor dem Supermarkt gelauert habe ob mir jemand Hochprozentiges (in Form von Alcopop) kaufen kann?!? Ah…weiter geht´s...

Weil aktuell im hiesigen Breitengraden außerordentlich gut vorbereitete Prepper-Verschnitte, mit eindeutig rechten Gesinnung rumgeistern, tauchte auf dem Bildschirm ein ebenso gruseliger Tobias (38) auf, in voller Montur und eindeutig keiner Attrappe als Waffe. OKAY direkt gemeldet. Bleibt leider nicht bei dem einen Profil.

Erstaunlicherweise gibt es eine klare Nische an uniformierten und bewaffneten Männern. „Jetzt mal im Ernst, bei wem landen die denn?“ Was passiert eigentlich mit den gemeldeten Tinder&Co-Profilen? Nun nicht viel. Auf der Tinder- policies-Seite wird beteuert, dass solche Profile im besten Fall erst gar nicht die Plattform erreichen sollten und wenn doch, dann werden sie hoffentlich gemeldet und landen bei irgendwelchen Sachbearbeiter: innen. Wie es danach ausschaut - das kann man sich entfernt vorstellen. Immerhin gibt es eine Liste von Anlaufstellen, wo Mann/Frau sich nochmal auf anderem Weg Hilfe holen kann - Hilfetelefone wie bei Profamilia, Stop-Talking und naja nicht viel mehr. Bei dem hauseigenen Quiz von Tinder zum Online-Dating/ Community-Richtlinien kann man sich selbst überprüfen, ob man den hohen Anforderungen an normale Umgangsformen und sexuelle Vorlieben standhält. Glaubt mir - 99,99% fallen durch. OKAY wieder abgeschweift… MISTER - X, auch schon 39, hat kein Bild von sich, aber behauptet gut auszusehen. Immerhin kein Quasimodo, denke ich und Akademiker und gebildet (!) und gepflegt und sportlich. So viel Selbstlob würde mir beim besten Willen und/oder nach 10 Wodkashots nicht einfallen lassen. Schade er sucht doch nur das „EINE“ Was auch immer das „EINE“ heißt.

Daniel (31) - Kategorie Komplettpaket-Schwachkopf, thront vor einem Bierkrug mit Zinndeckel und einer Magnum-Champagnerflasche, gekleidet in pseudo-patriotischen Fast-Fashion- Kluft. Dabei ist sein Lächeln so leer wie mein Postfach.

Donnie, fast so alt wie meine Wenigkeit postet ein Bild aus dem Fitti oberkörperfrei natürlich. Dachte wäre verboten. Heutzutage einer Anarchie gleichzusetzen. Er verspricht auch nicht zuzuschlagen. Mir kommen die Tränen, vor Wut. Der absolute ober-Hammer ist dann Markus, definitiv jünger gemogelt, als auf dem Abbild, !der Achtung Triggerwarnung!, Zitat: “Deutscher durch Geburt, Sachse durch die Gnade Gottes“ als Teaser stehen hat. WOW! Markus arbeitet offensichtlich im systemrelevanten Sektor. Auch gemeldet. Der Wixer.

Ich muss mich mittlerweile zusammenreißen, die Typen in der U-Bahn nicht unkontrolliert anzuplärren, weil ich mir ganz genau ihr Dater-Profil vorstelle. Um meine sich im LOOP kreisenden Gedanken zu durchbrechen und vor allem etwas bildschirmfreie Zeit mir zu verschaffen, versuche ich mich wieder an dem theoretischen Hintergrund der Onlineliebe.

Ein schönes Buch zu dem Thema: „Warum Liebe weh tut“ von Eva Illouz kann ich wärmstens empfehlen. Auf 600 Seiten exerziert sie das Elend der Verlassenen und im Liebeskummer Ersoffenen auf eine nicht gerade hoffnungsträchtige Art. Ein Allseits bekanntes Wort „Bindungsangst“ bekommt hier eine besondere Zuwendung und was uns die berüchtigte zweite Frauenbewegung allen für einen Salat beschert hat. Der Internet-Liebesmarkt und die Auswirkungen auf unser gemeines trostloses Paarungsverhalten wird von Illouz abseits von den unbrauchbaren Frauen-Ratgebern mit soziologischen Thesen begründet. Klasse!

Die Ratschläge von der besten Freundin wirken nicht gerade hilfreich daneben. Leider stolpere ich bei meiner Theoriekunde auch über solche Erklärungs-Formate wie Podcasts, wo die „witzigen“ und unwitzigen Erfahrungen bei Dating-App-Dates geteilt werden. Zielgruppe offensichtlich Frauen. Nichts daran ist „witzig“. Ich frage mich ob es auch Diejenigen erreichen soll um die es eigentlich geht? Offensichtlich nicht. Die Krönung der Selbstgeißelung bei meiner Internet-Partnerwahl schließen absurde Foto-Projekte mit hochauflösenden Akt-Bildern. Diese gibt´s gerne auch ohne Anfrage. Bei Interesse PN :-)

Ich versuche fair zu bleiben und besuche am Abend meine alte Tinder-Bekanntschaft auf „ein Glas Wein“ um dem Ganzen noch eine winzige Chance zu geben. Am Ende flüchte ich, vielleicht vor mir selbst. Am nächsten Tag ist mir vor lauter Wischen schwindelig. Ein Match gleicht dem anderen. Der Typ mit der Riesenknolle Ott auf dem Profilbild ist ja noch eine willkommene Abwechslung in dem Karussell. Chatten finde ich mühsam, genauso belastend wie die faden Konversationen, die nach einem „HALLO mit welchem Finger befriedigst du dich?“, eine ernsthafte Antwort erwarten. So gehe ich wieder alleine in mein Bett und schließe all die glücklichen Tinder-Pärchen in mein Abendgebet ein. Und vergesse nicht dabei alle frischgebackenen Fahrradfahrer, Veganer, Hallen- Boulder, auf dem Kopf Stehende, auf einer Hochzeit fotogarfierten, frisch Getrennten, in offenen Beziehungen und auf der Suche nach F+ -Macker. „Fahrt alle zur Hölle und lernt euch doch selbst (gegenseitig) kennen!“

Und wer jetzt glaubt ich wäre an der Stelle verloren oder gar frustriert und mein Liebesleid ist unerträglich, den muss ich zum Glück enttäuschen. Im Gegenteil - die Last der Internet-Liebe ist nicht nur die Meine, wie ich aus unzähligen Gesprächen hierzu erfahren habe. Meine Erfahrungen werden minütlich im Internet geteilt und irgendwo auf der Welt passiert sicher auch ein ehrliches Match oder ein aufregendes Abenteuer.

Aber was ist mit dem (fuckin 99,9%) Rest? Vor allem was stimmt mit den oben beschriebenen Paarungskandidaten nicht? Wie viele Profile müssen noch gemeldet und wie viele Kolumnen, Bücher, Podcasts müssen noch verfasst werden, (bevor das Patriarchat endlich abgeschafft werden kann) damit diese offensichtlich frauenfeindliche, gewalttätige, idiotische, selbstlobende und erniedrigende, karteikarten-ähnlichen Männer-Bilder vom Markt gehen können? Ich fürchte es geht noch sehr lange so weiter. In der Zwischenzeit kann ich gerne die Redaktion der Tinder&Co Profile für Euch übernehmen und den Willigen die bitternötige Prise Anstand und Hingabe beibringen. Und Ihr könnt eure Erfahrungen offen und laut und mit jedem, der es hören und nicht hören will teilen.

Meldet euch! XOXOXO

*Namen sind durch Fiktivnamen ersetzt worden (vielleicht). Derjenige, der sich hier erkennen sollte, hat es eh´ verkackt und kann sich und sein Profil mitlöschen.

„Tinder“ steht bezeichnet für das Sammelsurium an den gängigen „nichtsnutzer“ Dating-Apps, zu gebrauchen wie „Tempo“-Taschentuch. Also ab in den Papierkorb damit! Vielen Dank.

Text: Anja Yakovleva

Digitalle Collagen: Sonja Yakovleva